Fotografie neu denken: Die Falle der starren "Fotografie Nische"

 

Ich habe in letzter Zeit viel über Fotografie Genre und die eigene Nische nachgedacht. Weil wir Fotografen ja gerne Dingen ein Label verpassen: “Das ist Streetfotografie” und “Das ist Landschaftsfotografie”…

Aber ich habe mich gefragt ob ich mich selbst eigentlich als Streetfotograf sehe. Und wie das bei anderen Fotografen ist.

 

Die Falle der Fotografie Nische

Als Fotograf kommt man früher oder später an den Punkt, wo einem die Frage gestellt wird: „Was fotografierst du denn so?“ Und meistens landet man dann dabei, ein bestimmtes Genre zu nennen – Landschaft, Street, Portrait.

Eigentlich ja eine ganz praktische Definition. Es hilft anderen, sich ein Bild von deinem Stil zu machen. Gleichzeitig schubst du dich aber auch in eine Schublade, und genau da liegt aus meiner Sicht die Falle.

Warum? Weil du dich selbst begrenzt. Wenn du dich auf ein Genre festlegst, schwingt immer das Gefühl mit, dass du nur noch in diesem Rahmen denken und arbeiten darfst. Und jedes Genre hat da ja seine eigene Definition.

Klar, Social Media verstärkt das Ganze noch. Die Algorithmen lieben Konsistenz. Wenn du also überwiegend Landschaftsbilder postest und plötzlich ein Streetfoto hochlädst, reagieren viele Follower nicht wirklich begeistert.

Das nagt an deinem Selbstbewusstsein und lässt dich denken, du dürftest nur noch „dein Genre“ bedienen. Das Spiel mit den Algorithmen wird zum Spiel mit deinen eigenen Grenzen.

Dabei verschwimmen für viele Fotografie Genre aber eigentlich die Grenzen extrem. Ich persönlich brauche zum Beispiel keine Menschen für meine Streetfotos, sondern finde menschliche Elemente oder abstrakte Muster genauso spannend.

Oder Landschaftsfotografen, die gerne Häuser, Straßen, Zäune oder andere Sachen in ihre Fotos aufnehmen. Sie fotografieren eben nicht einfach nur unberührte Natur.

Ich verstehe auch, dass es schwer ist, aus dieser Box auszubrechen. Social Media belohnt schließlich genau das Gegenteil: Spezialisierung.

 

Wer definiert eigentlich ein Genre?

Wer sagt eigentlich, was ein Fotografie-Genre ausmacht? Diese Frage schwirrt mir immer wieder durch den Kopf, weil es dafür keine klare Antwort gibt.

Es gibt keine Regel, kein offizielles Gremium, das festlegt, was genau Landschafts-, Portrait- oder Streetfotografie sein soll.

Stattdessen entstehen diese Definitionen eher aus einer Art gemeinsamer Idee, die sich unter Fotografen herausbildet. Sie hilft, dass man sich leichter über Fotografie austauschen kann.

Wenn ich dir sage, ich fotografiere Landschaften, dann denkst du vermutlich an weite Felder, Berge oder Strände – und nicht an Nahaufnahmen von Gesichtern. Das macht die Kommunikation einfacher.

Aber sobald man tiefer in die Sache einsteigt, merkt man schnell, dass diese Grenzen oft gar nicht so klar sind.

Nimm zum Beispiel Streetfotografie. Heißt das immer, in einer Großstadt mit vielen Menschen zu fotografieren? Oder reicht eine kleine Dorfstraße auch aus? Und müssen unbedingt Menschen im Bild sein? Was, wenn ich einfach nur eine städtische Szene aufnehme, ganz ohne Personen? Vielleicht finde ich abstrakte Muster auf der Straße spannend – gehört das dann noch zur Streetfotografie oder ist das etwas anderes?

Solche Fragen haben keine eindeutigen Antworten, und jeder sieht das ein bisschen anders.

Für mich liegt genau da der Reiz. Ich sehe, wie Genres miteinander verschmelzen können.

Vielleicht findest du in einem Landschaftsfoto Elemente von Architektur, oder ein Streetfoto spielt mit der Stille und Weite, die man sonst in Landschaften sucht.

 

Was ich aus Fotobüchern gelernt habe

Ich finde es an dieser Stelle aber spannend, einfach mal die verschiedensten Fotobücher zu betrachten.

Ein Fotobuch ist für mich mehr als nur eine Sammlung von Bildern. Es erzählt Geschichten, teilt Erfahrungen und zeigt, wie ein Fotograf seine Welt sieht.

Wenn jemand ein Fotobuch veröffentlicht und es in den Wohnzimmern anderer Menschen landet, dann zeigt das, dass er oder sie es geschafft hat, andere zu berühren.

Ein Beispiel, das mir im Kopf ist, ist ein Buch über einen Surftrip entlang der Westküste der USA. Dieses Buch verbindet viele Genres in sich.

Es zeigt Portraits von Menschen, die Teil des Trips waren, Landschaften der Küste, Momente beim Surfen und kleine Details aus dem Alltag. Alles zusammen ergibt eine Geschichte, die den Surftrip als Gesamterlebnis festhält.

Ob das jetzt Sportfotografie, Reisefotografie oder Landschaftsfotografie ist, spielt keine Rolle. Es geht um die Erfahrung, die dokumentiert wird. Der Fotograf hat einfach das festgehalten, was ihn begeistert hat – und genau das macht das Buch so interessant.

Ein anderes Beispiel ist ein moderner Fotograf (James Popsys), der ein Buch veröffentlicht hat, das sich mit dem Thema "Human Nature" beschäftigt.

Darin vermischt er Landschaftsaufnahmen mit menschlichen Elementen – verfallene Hütten, Schilder, Straßenabschnitte. Es passt weder in die klassische Landschaftsfotografie noch in Streetfotografie.

Es ist ein Mix, der seine ganz eigene Sprache spricht. Der Fotograf hat sich von festen Definitionen gelöst und einfach das gemacht, was ihn fasziniert hat. Genau das macht dieses Buch so einzigartig.

Für mich liegt die wichtigste Erkenntnis darin, dass du nicht in Genres denken musst. Viele der beeindruckendsten Fotografen folgen nur ihren eigenen Interessen.

Sie vertrauen darauf, dass es irgendwo Menschen gibt, die ihre Begeisterung teilen. Es ist völlig egal, ob deine Bilder in eine klare Kategorie passen.

Am Ende zählt, dass sie etwas erzählen und dich als Fotograf widerspiegeln. Wer versucht, sich starr an Regeln oder Genres zu halten, verliert oft das, was Fotografie so spannend macht: die Freiheit, einfach das zu fotografieren, was einen selbst bewegt.

 

 
Timo Nausch