Was ist ein Leaf Shutter? Und was bringt er Streetfotografen?

 

Die Technik hinter Kameras hat mich eigentlich nie sonderlich interessiert. Ich drücke den Auslöser, Kamera macht Foto, fertig. Wie sie am Ende zu diesem Ergebnis kommt war mir eigentlich egal.

Als ich mir meine Fuji X100VI geholt habe war es dann aber für mich recht schwer, wirklich gut erklären zu können, was mir an dieser Kamera so gut gefallen hat. Aber von anderen Fotografen habe ich dann immer wieder eine Sache gehört: “Ja, das liegt am Leaf Shutter”.

Also habe ich mich doch einmal aufgemacht, genauer zu verstehen, was es damit auf sich hat und warum ein Leaf Shutter ein cooles Feature für Streetfotografen ist.

 

Was genau ist ein Leaf Shutter?

Ein Leaf Shutter, auch bekannt als Zentralverschluss, ist eine besondere Art von Verschluss in Kameras.

Er besteht aus mehreren kleinen, überlappenden Metallblättern, die sich in einem Kreis anordnen und sich blitzschnell öffnen und schließen, um Licht auf den Sensor oder Film fallen zu lassen. Diese Blätter sind meist in der Linse selbst eingebaut, nahe der Blende.

Stell dir vor, du hast eine Blume mit mehreren Blättern, die sich öffnen und schließen können. Genau so funktioniert ein Leaf Shutter.

Der Leaf Shutter hat eine lange Geschichte. Frühe Modelle, wie die der Kodak Brownie aus dem späten 19. Jahrhundert, hatten sogar nur ein einziges Blatt.

Mit der Zeit wurde der Mechanismus komplexer, aber auch anfälliger für Fehler. Das könnte ein Grund sein, warum viele Hersteller auf den heute weit verbreiteten Schlitzverschluss (Focal-Plane Shutter) umgestiegen sind.

Was den Leaf Shutter besonders macht, ist seine Position. Da er näher an der Linse sitzt, verteilt sich das Licht gleichmäßig über den gesamten Sensor oder Film. Das bedeutet, dass sich die Blätter so schnell öffnen und schließen, dass die Belichtung quasi instantan erfolgt.

Grundsätzlich funktioniert ein Leaf Shutter ähnlich, wie die Veränderung der Blendenöffnung im Objektiv. Auch hier öffnen oder schließen wir das Objektiv ja ein wenig. Diese beiden Dinge sollten man jedoch nicht miteinander verwechseln, denn am Ende geschehen hier unterschiedliche Sachen.

Betätige ich den Auslöser an der Kamera, dann öffnet sich der Leaf Shutter, so das Licht auf den Sensor fallen kann. Dabei öffnen sich dann die “Blätter” des Verschlusses. Bei einem klassischen Schlitzverschluss bewegt sich der Verschluss von oben nach unten und steuert so den Lichteinfall.

Dies hat in der Praxis aber ein paar ganz entscheidende Vorteile

 

Die Vorteile des Leaf Shutters

Ein Leaf Shutter hat einige klare Vorteile gegenüber einem Schlitzverschluss, die besonders für Streetfotografen interessant sind.

  1. Zunächst einmal ist er leiser. Während ein Schlitzverschluss ein deutliches „Klack“ von sich gibt, ist der Leaf Shutter kaum hörbar. Gerade wer in Menschenmengen fotografiert, will nicht unnötig durch sein Kameraklicken auffallen - ich zumindest nicht. Moderne Kameras wie die Fujifilm X100VI oder die Leica Q2/Q3 nutzen daher genau diesen Vorteil und sind im Einsatz extrem leise.

  2. Ein weiterer großer Pluspunkt ist angeblich die Blitzsynchronisation. Mit einem Leaf Shutter kannst du den Blitz bei jeder beliebigen Verschlusszeit nutzen. Bei einem Schlitzverschluss ist die Blitzsynchronisation meist auf 1/250 Sekunde oder weniger begrenzt. Da ich persönlich allerdings nahezu nie mit Blitz arbeite, kann ich nicht viel dazu sagen.

  3. Auch bei schnellen Bewegungen zeigt der Leaf Shutter seine Stärken. Ein Schlitzverschluss kann durch den sogenannten „Rolling Shutter“-Effekt Verzerrungen verursachen, wenn sich das Motiv schnell bewegt. Das passiert, weil der Verschluss das Bild streifenweise belichtet. Beim Leaf Shutter öffnen und schließen sich die Blätter dagegen gleichmäßig von der Mitte aus, sodass das Bild ohne Verzerrungen aufgenommen wird.

  4. Zudem ist der Leaf Shutter kompakter und verursacht weniger Vibrationen im Vergleich zum Schlitzverschluss. Früher war das ein großer Vorteil, da Kameras noch keine Bildstabilisierung hatten. Heute ist das aber weniger ein Problem, ich wollte es aber der Vollständigkeit halber erwähnen..

Zusammengefasst: Ein Leaf Shutter ist leiser, ermöglicht bessere Blitzsynchronisation, verhindert Verzerrungen bei Bewegungen und reduziert Vibrationen.

 

Die Nachteile eines Leaf Shutters

Nicht alles was glänzt ist aber auch Gold. Wenn ein Leaf Shutter wirklich so viel besser ist, dann hätte ihn ja auch jede Kamera. Wo sind also seine Schwachstellen und Nachteile?

Einer der größten ist die begrenzte Verschlussgeschwindigkeit. Während moderne Kameras mit Schlitzverschluss Verschlusszeiten von bis zu 1/8000 Sekunde oder schneller erreichen, liegt das Maximum bei einem Leaf Shutter meist bei 1/500 oder 1/1000 Sekunde.

Das kann problematisch sein, wenn du bei hellem Licht mit offener Blende fotografieren willst, zum Beispiel für Porträts mit unscharfem Hintergrund. In solchen Fällen musst du dann auf ND-Filter zurückgreifen, um das Licht zu reduzieren und trotzdem die gewünschte Belichtung zu erreichen.

Wenn du extrem kurze Verschlusszeiten benötigst, wechseln einige Kameras automatisch auf einen elektronischen Verschluss. Meine Fuji X100VI kann das zum Beispiel.

Das kann jedoch zu Problemen wie dem Rolling-Shutter-Effekt führen, also der Verzerrung von schnellen Bewegungen, die wir ja eigentlich genau mit diesem Verschlusstyp vermeiden könnten.

Die Auslesezeit des Sensors spielt hier eine Rolle – je länger sie ist, desto stärker sind die Verzerrungen. Zum Beispiel kann ich dir sagen, dass bei meiner Sony A7C II von anderen Nutzern eine Auslesezeit (Readout Time) von 66,5ms gemessen wurde. Hier sind deutlich Rolling-Shutter-Probleme zu beobachten.

Im Vergleich dazu weist eine Sony A6700 deutlich weniger dieser Probleme auf, was an der kürzeren Auslesezeit von nur 25,0ms liegt.

Die Fuji X100VI liegt mit 36,40ms in einem akzeptablen Bereich. Wer jedoch den Leaf-Shutter nicht mehr nutzen kann, ist darauf angewiesen, dass die Kamera eine einigermaßen gute Auslesezeit bietet, um den Rolling-Shutter-Effekt zu minimieren.

Ein weiterer Nachteil ist die Komplexität und die damit verbundenen Kosten. Bei Kameras mit Wechselobjektiven muss jedes Objektiv einen eigenen Leaf Shutter haben, da dieser meist in der Linse verbaut ist. Das treibt die Preise in die Höhe.

Objektive mit Leaf Shutter sind deutlich teurer als solche für Schlitzverschluss. Weil ein Schlitzverschluss eben an der Kamera und nicht im Objektiv sitzt.

Auch Reparaturen können kostspielig sein, da der Mechanismus empfindlich und aufwendig zu warten ist. Das macht Leaf Shutter vor allem für Kameras mit fest verbauten Objektiven interessant, wie die Fujifilm X100VI, die Ricoh GRIII oder die Leica Q3.

Wer sein Objektiv wechseln will, der finden einen Leaf Shutter meist nur bei Leica oder Hasselblad… Und zahlt dann dementsprechen auch tausende Euro für ein einziges Objektiv. Budget und kostengünstig existiert hier dann nicht.

Für die meisten Fotografen ist der Unterschied zwischen Schlitzverschluss und Leaf Shutter aber nicht so entscheidend, dass sie bereit sind, tausende Euro mehr für das Equipment auszugeben. Und genau deshalb ist ein Leaf Shutter auch eher Nische und nicht der Standard für Kameras.

 

Was bedeutet das nun für Streetfotografen?

Die erste spannende Beobachtung ist eigentlich, welche Kameras diesen Verschlusstyp nutzen. Wie bereits erwähnt, sind das nämlich vorrangig die Ricoh GR III, ebenso wie die Fujifilm X100VI oder die Leica Q3.

Das sind alles Kameras, die in der Streetfotografie-Szene weit verbreitet und typische Empfehlungen für Streetfotografen sind.

Für mich ist der Hauptgrund vor allem, wie leise diese Kameras arbeiten. Es ist erstaunlich, dass man immer noch einen mechanischen Verschluss hat, der aber quasi nicht hörbar ist.

Ich könnte natürlich auch meine Sony A7C II auf den Silent-Mode stellen, aber da habe ich dann gar keinen mechanischen Verschluss mehr, sondern nur noch einen elektronischen. Das bedeutet, dass ich auf die Auslesezeit des Sensors angewiesen bin, die sehr lang ist. Dadurch habe ich stark mit Rolling-Shutter-Effekten zu kämpfen.

Zwar macht meine Kamera dann kein Geräusch mehr, aber wenn ich aus der Hüfte fotografiere oder die Kamera schnell bewege, weil ich auf eine Situation auf der Straße reagiere, dann macht es einfach nicht so viel Spaß, wenn man eine gute Szene erwischt hat und am Ende feststellt, dass das Foto unbrauchbar ist, weil bestimmte Ecken und Kanten gestaucht sind. Daher ist der elektronische Verschluss nicht unbedingt die beste Lösung.

Eine neue Entwicklung, die es aktuell gibt, ist, dass immer mehr Kameras einen globalen Verschluss erhalten. Diese Kameras haben eine Auslesezeit von zwischen 4 bis 9 ms, was unfassbar schnell ist.

Allerdings ist diese Technik noch so neu, dass sie eher im Premium-Segment angesiedelt ist. Es handelt sich dabei meist um Flaggschiff-Kameras, die dann auch sehr groß, unhandlich und extrem teuer sind. Daher sind sie für den durchschnittlichen Streetfotografen nicht wirklich interessant.

Aus diesem Grund ist es durchaus eine feine Sache, einen Leaf-Shutter zu haben, da er, wie gesagt, den Rolling-Shutter-Effekt minimiert und sehr leise ist. Außerdem wird er immer noch in sehr kompakten Kameras verbaut, die generell ein gutes Paket für die Streetfotografie bieten.

Ich würde die Entscheidung, mit welcher Kamera ich in der Streetfotografie unterwegs bin, nicht allein am Verschlusstyp festmachen.

Wenn du einen Schlitzverschluss hast, ist das kein Weltuntergang, aber ein Leaf-Shutter ist auf jeden Fall eine sehr feine Sache.

Wenn du aber vor der Entscheidung stehst, zwischen zwei Kameras zu wählen, und dir nicht sicher bist, welche dir besser gefällt, aber eine der Kameras einen Leaf-Shutter hat und die andere einen anderen Verschlusstyp, dann würde ich aktuell sagen, dass der Leaf-Shutter ein echtes Plus ist. Im Einsatz auf der Straße ist er einfach echt richtig praktisch.

 

 
Timo Nausch