Die 5 schlechtesten Tipps für Streetfotografie die ich gehört habe

 

Es gibt viele Streetfotografen und jeder hat seine eigene Meinung. Viele Tipps die du bekommst sind sinnvoll und machen Sinn. Es gibt jedoch auch einige Tipps, die ich immer wieder höre und die schlichtweg falsch oder zumindest schlecht sind.

Welche Tipps das sind, schauen wir uns hier genauer an

 

Das sind die schlechtesten Streetfotografie Tipps, die ich gehört habe

1. Streetfotografie braucht Menschen

Der wahrscheinlich größte Punkt der immer wieder aufkommt ist, dass du für die Streetfotografie unbedingt Menschen fotografieren musst. Alles andere sei keine Straßenfotografie.

Ich teile diese Ansicht nicht. Warum? Weil die Straße so viel mehr zu bieten hat als nur ihre Passanten.

Die Architektur, der Verkehr, kleine, fast unsichtbare Details – all das gehört ebenfalls zum urbanen Leben dazu.

Streetfotografie, wie ich sie verstehe, fängt das Gefühl eines Ortes ein und übermittelt es dem Betrachter. Und dabei ist es egal, wie du das erreichst und ob dafür Menschen im Bild sind oder nicht.

Wenn du dich ausschließlich darauf konzentrierst, Menschen zu fotografieren, verpasst du vielleicht die Essenz dessen, was deinen Standort besonders macht.

Natürlich sind Menschen ein faszinierender Aspekt in der Streetfotografie. Ihre Emotionen, Gesten und Interaktionen können unglaublich ausdrucksstarke Bilder erzeugen.

Aber Bilder, die nur Menschen zeigen, können auf Dauer eintönig und wiederholend wirken.

Das wahre Geheimnis einer packenden Streetfotografie liegt in der Vielfalt und in der Kombination verschiedener Elemente.

Ich habe gelernt, dass es wichtig ist, den Kontext einzubeziehen, in dem die Menschen sich befinden. Die Umgebung, in der die Personen agieren, erzählt oft eine tiefere, subtilere Geschichte.

Ein einsamer Passant in einer belebten Straßenszene oder eine alte Frau, die neben einem modernen Graffiti steht – solche Kontraste machen ein Foto interessant.

 

2. Streetfotografie muss Schwarz&Weiß sein

Schwarz-Weiß ist ein mächtiges Stilmittel, das Emotionen und Kontraste intensiver darstellt, indem es Ablenkungen reduziert und den Fokus auf das Wesentliche lenkt.

Es gibt Bilder, die in Schwarz-Weiß einfach stärker wirken, weil Farben manchmal die Aufmerksamkeit von den eigentlichen Subjekten oder der beabsichtigten Stimmung ablenken können.

Doch das bedeutet nicht, dass du dich ausschließlich auf Schwarz-Weiß beschränken solltest.

Die Entscheidung, ob ein Bild in Farbe oder in Schwarz-Weiß besser zur Geltung kommt, treffe ich meist erst bei der Nachbearbeitung.

Moderne Technologien ermöglichen es uns, Bilder zunächst in Farbe aufzunehmen und dann zu entscheiden, ob eine Umwandlung in Schwarz-Weiß dem Bild mehr Tiefe oder Ausdruck verleiht. So behältst du die Flexibilität, je nach Situation das Beste aus deinen Bildern herauszuholen.

Einige der bekanntesten Streetfotografen, wie Alex Webb, sind gerade für ihre lebendigen Farbbilder bekannt. Ihre Werke wären in monochrom wahrscheinlich nicht so kraftvoll und aussagekräftig.

Farbe spielt eine ebenso wichtige Rolle in deinen Fotos, indem sie Atmosphäre schafft, Stimmungen einfängt und die Realität lebensechter darstellt.

In manchen Fällen kann gerade das Zusammenspiel verschiedener Farben eine Geschichte erzählen oder eine besondere Stimmung einfangen, die in Schwarz-Weiß verloren gehen würde.

Ich will noch einmal betonen: Weder Schwarz-Weiß noch Farbfotografie sind besser. Es sind lediglich zwei verschiedene Stilmittel. Wenn du gerne in Monochrom fotografierst ist das völlig in Ordnung und nicht falsch.

Lediglich die Aussagen mancher, dass alles was nicht s&w ist keine “richtige” Streetfotografie sei, sehe ich als idiotisch an.

 

3. Es ist verboten deine Bilder zu bearbeiten oder zuzuschneiden

In der Welt der Fotografie stolpere ich immer wieder über den Rat, dass das Zuschneiden oder Bearbeiten von Bildern als Betrug gilt und nicht als echte Fotografie angesehen werden sollte.

Ich muss sagen, diese Ansicht teile ich nur unter einer sehr spezifischen Bedingung: der Fotojournalismus.

Wenn es dein Ziel ist, Ereignisse zu dokumentieren, die journalistische Relevanz besitzen oder historisch bedeutsam sind, dann verstehe ich den Wunsch, das Bild so authentisch wie möglich zu halten, um die Realität nicht zu verzerren.

Aber außerhalb dieser strengen Richtlinien ist Fotografie auch eine Kunstform, ein kreativer Ausdruck und ein Weg, persönliche Erinnerungen festzuhalten.

In diesem Rahmen ist das Zuschneiden und Bearbeiten deiner Bilder absolut in Ordnung und keineswegs ein Betrug.

Warum sollte es auch sein? Die Möglichkeit, ein Bild zu bearbeiten, gibt dir die Freiheit, die Vision, die du beim Drücken des Auslösers im Kopf hattest, vollständig umzusetzen.

Die Nachbearbeitung ist ein wesentlicher Bestandteil des kreativen Prozesses. Durch das Zuschneiden eines Bildes kann ich den Bildaufbau verbessern, indem ich störende Elemente entferne oder den Fokus stärker auf das Hauptsubjekt lege.

Das Bearbeiten der Farben, der Kontraste und der Helligkeit ermöglicht es mir, die Stimmung und Atmosphäre des Bildes zu verstärken, die ich erfassen möchte.

Auch die großen Meister der Fotografie haben früher in der Dunkelkammer ihre Werke zugeschnitten und bearbeitet.

Moderne Tools wie Lightroom oder Photoshop zu nutzen, um deine Bilder anzupassen, ist also nicht weniger legitim. Es ist einfach eine Weiterführung der traditionellen Techniken in ein neues Zeitalter.

Lass dir also von niemandem einreden, dass du durch das Bearbeiten deiner Bilder weniger Fotograf bist. Es ist dein künstlerisches Recht, deine Bilder so zu gestalten, wie du es für richtig hältst.

Nutze die verfügbaren Werkzeuge, um deine Vision zum Ausdruck zu bringen und deine Geschichten auf die bestmögliche Weise zu erzählen.

 

4. Du musst spezielle Ausrüstung oder Einstellungen nutzen

Als leidenschaftlicher Streetfotograf komme ich oft ins Grübeln, wenn ich höre, dass man angeblich spezielle Ausrüstungen oder Einstellungen verwenden muss, um "echte" Streetfotografie zu betreiben.

Ich habe schon oft gehört, dass wahre Streetfotografen ausschließlich mit einer 28mm Linse und Schwarz-Weiß-Film arbeiten sollten. Dass nur eine Leica als echte Streetfotografie-Kamera zählt und alles andere irrelevant sei.

Auch bei den Kameraeinstellungen gibt es solche Mythen: „Du musst bei Blende f8 fotografieren und ausschließlich die Zonenfokussierung verwenden.“

Ich sage dir, das ist kompletter Unsinn.

Diese Vorstellungen stammen meist von Leuten, die ihren exklusiven kleinen Club so lange wie möglich am Leben erhalten wollen. Aber weißt du was?

Fotografie ist eine Kunstform, kein naturwissenschaftliches Experiment, das man wiederholen muss. Die Schönheit der Streetfotografie liegt gerade in ihrer Vielfalt und Freiheit.

Du kannst und solltest jede Kamera und jedes Objektiv benutzen, das dir zur Verfügung steht oder das du gerne magst.

Egal ob es eine Spiegelreflexkamera, eine Systemkamera oder sogar dein Smartphone ist. Auch die Brennweite ist dir überlassen.

Obwohl viele die klassische 35mm oder 50mm bevorzugen, gibt es keinen Grund, warum du nicht auch mit einem Teleobjektiv, wie etwa einem 70-200mm, auf den Straßen fotografieren kannst.

Gerade als Anfänger, wenn du dich vielleicht noch nicht traust, Menschen direkt zu fotografieren, kann ein Teleobjektiv eine fantastische Wahl sein. Es ermöglicht dir, aus einer sicheren Entfernung zu arbeiten und trotzdem intime und packende Bilder einzufangen.

Ich selbst experimentiere gerne mit verschiedenen Objektiven und Techniken. Manchmal ziehe ich es vor, mich unter die Menschen zu mischen, ein anderes Mal bleibe ich lieber im Hintergrund und fange die Szenen mit etwas Distanz ein.

Und soll ich dir etwas verraten? Die Bilder sind immer dann am stärksten, wenn ich mich gut fühle und Spaß an dem habe, was ich tue, unabhängig von der verwendeten Ausrüstung.

Also, lass dich nicht von veralteten Regeln einschränken. Streetfotografie soll Spaß machen und deine kreative Seite fördern.

Experimentiere mit verschiedenen Techniken und Ausrüstungen und finde heraus, was für dich am besten funktioniert.

 

5. Du kannst (und solltest) jeden Fotografieren

Die Entscheidung, ob ich den Auslöser drücke, hängt nicht nur von meinem Recht ab, ein Foto zu machen, sondern auch von meinem moralischen Kompass und meiner Intention.

Ich entscheide mich bewusst gegen das Fotografieren in bestimmten Situationen:

  • keine Fotos, die jemanden absichtlich in einem schlechten Licht darstellen.

  • vermeide Aufnahmen von Personen in kompromittierenden oder peinlichen Situationen

  • verzichte ich auf Bilder, die zukünftige Probleme für die abgebildeten Personen verursachen könnten, wie zum Beispiel Aufnahmen, die eine verwundbare Person zeigen oder die Identität eines Kindes offenlegen, wenn dieses klar im Fokus des Bildes steht.

Es gibt jedoch auch Projekte, bei denen man Fotos von verwundbaren Gesellschaftsmitgliedern mache kann.

Vor allem, wenn die Fotos dazu beitragen können, positive Veränderungen herbeizuführen und die Interaktion einen Mehrwert für die Betroffenen hat.

Aber ich rate dir, vorsichtig zu sein. Wenn du mit der Einstellung an die Streetfotografie herangehst, dass du alles und jeden fotografieren kannst, wirst du früher oder später Probleme bekommen.

Es ist wichtig, den Raum zu lesen und die Reaktionen der Menschen zu spüren. Fühlen sich die Personen durch die Kamera bedrängt oder schauen sie dich vielleicht sogar argwöhnisch an?

Es gibt Menschen, die dir ganz klar physisch zeigen, dass sie nicht fotografiert werden wollen.

Wenn du darauf bestehst, ein Foto zu machen, trotz offensichtlicher Ablehnung, kann das zu Konflikten führen – manchmal sogar zu körperlichen Auseinandersetzungen.

Diese Art von Situationen möchte ich (und du wahrscheinlich auch) immer vermeiden.

Fotografie ist ein kraftvolles Medium, und mit großer Macht kommt große Verantwortung. Überlege also genau, wie du dich auf der Straße verhältst.

 

 
Timo Nausch