Bildanalyse: Warum wirken manche Fotos besser als andere?
Aus Fehlern lernt man am besten. Daher will ich mit dir eine Bildanalyse meiner eigenen Streetfotos machen, um dir zu zeigen, warum manche Fotos besser wirken als andere.
Foto 1: Linien, Linien, Linien
Am Münchner Hauptbahnhof habe ich mit einem Bild experimentiert, das nicht auf den klassischen Führungslinien basiert. Stattdessen habe ich Linien auf eine Art eingesetzt, die das ganze Foto wie ein Puzzle aus Farb- und Kontrastblöcken erscheinen lässt.
Angefangen vom blauen Himmel bis zum dunklen Boden haben wir sehr deutliche Linien im Foto. Direkt darunter schiebt sich das Verdeck des Bahnhofs ins Bild, das in mehreren Ebenen heller und dunkler wird, weil die Sonne aus genau der richtigen Richtung darauf gefallen ist. Das sorgt für Tiefe und unterstreicht die Struktur des Fotos.
Das Highlight ist aber die Bildmitte mit dem ICE. Mit seiner schnittigen Form und dem roten Streifen entlang der Seite wirkt er selbst wie eine durchgehende Linie, die sich quer durchs Bild zieht.
Hier spielen jetzt aber verschiedene Elemente miteinander. Zum einen hat der Zug größtenteils die selbe helle Farbe wie das Bahnhofsdach. Gleichzeitig haben wir aber auch die rote Akzentlinie am Zug.
Die drei Personen auf dem Bahnsteig tragen ebenfalls Orange oder Rot – ein roter Faden, im wahrsten Sinne des Wortes. Einer der Menschen hat Warnweste an, die mit ihrer Linienführung perfekt ins Gesamtbild passt.
Selbst an den Hosenbeinen einer der anderen Personen findest du wieder Linien, die alle in dieselbe Richtung zeigen. Das Bild wirkt dadurch extrem konsistent und ruhig, fast schon hypnotisch.
In der Nachbearbeitung habe ich diesen Eindruck bewusst verstärkt. Die dunklen Bereiche des Fotos habe ich tief schwarz gemacht, ohne Details übrig zu lassen. Warum? Weil es nicht um die Details geht.
Es geht um die klaren Formen und Kontraste. Die Linien und Flächen sollten dominieren, und genau das habe ich herausgearbeitet.
Das Ergebnis fühlt sich für mich einfach richtig an. Es gibt eine klare Struktur, die aber nicht aufdringlich ist.
Foto 2: Die Entwicklung einer Idee
Manchmal entwickelt sich ein Foto erst nach einigen Umwegen. Du kennst das sicher auch – du hast eine grobe Idee im Kopf, aber irgendwie will es nicht so richtig klappen.
Ich war an einem Ort, wo das Licht spannend fiel, und hatte zunächst die Idee, eine Schattenaufnahme zu machen. Rechts von mir stand eine knallgelbe Zeltbahn, die sofort ins Auge stach. Links fiel ein dunkler Hausschatten hinein. Die Kombination aus dem leuchtenden Gelb und dem Schatten hatte Potenzial, dachte ich mir.
Doch dann ging das Probieren los. Ich wollte einen Schatten in das Gelb integrieren, aber das war schwieriger, als es klingt. Der Schatten wirkte bei den ganzen Versuchen zu klein oder ging in der gelben Fläche unter.
Selbst wenn ich enger schnitt, verlor ich die Wand, die ja ein Akzent für die Szene sein sollte. Eine neue Idee war also, die bislang vertikale Aufnahme einfach horizontal zu machen. So hätte ich mehr Platz für die einzelnen Elemente. Aber das brachte auch keine Harmonie ins Bild.
Alles fühlte sich halbgar an – der Schatten, die gelbe Fläche, die Komposition. Es fehlte einfach die Verbindung zwischen den Elementen.
Ich gab die Idee mit der Zeltwand schließlich auf und ging ein paar Schritte weiter. Dann, an einer Kreuzung, sah ich ein Paar, das Händchen hielt. Der Schatten ihrer Hände auf dem Boden zog mich sofort in den Bann.
Im Nachhinein denke ich, dass die vorherigen "Fehlschläge" notwendig waren, um zu dieser Idee zu kommen. Das Bild des Paares funktioniert für mich, weil es dieses anonyme, fast schon intime Gefühl transportiert, ohne zu viel zu zeigen.
In der Bearbeitung kämpfe ich allerdings noch mit dem Kontrast. Die Szene ist ohnehin schon sehr kontrastreich, und weniger Kontrast nimmt ihr irgendwie die Kraft. Aber zu viel Kontrast lenkt ab. Perfekt ist es noch nicht, aber manchmal ist es auch spannend, ein Foto reifen zu lassen.
Foto 3: Kreative Ansätze für bekannte Motive
Wenn du an bekannte Motive herangehst, wie zum Beispiel Touristen-Hotspots, stehst du schnell vor einer Herausforderung: Wie machst du ein Foto, das nicht aussieht wie tausend andere? Klassische Sehenswürdigkeiten wie der Marienplatz in München oder der Olympiaturm sind ja längst in allen möglichen Perspektiven abgelichtet worden.
Ein Ansatz, der für mich gut funktionier, ist es, die Umgebung und ungewöhnliche Details in dein Bild einzubauen.
Am Marienplatz gibt es im Winter den Weihnachtsmarkt. Eine der Buden hatte ein Dach aus Plexiglas oder einem ähnlichen Material. Dieses Dach hat die Perspektive verzerrt, und ich habe den Turm vom Rathaus einfach durch diese Scheibe fotografiert.
Das Ergebnis? Kein klassisches, glasklares Postkartenfoto, sondern ein leicht abstrakter Look, der das Motiv trotzdem erkennbar lässt. Es wirkt, als hätte das Bild eine eigene Dynamik, ohne ins völlige Chaos abzurutschen. Genau solche kreativen Ansätze geben auch bekannten Orten eine neue Note.
Ein anderes Beispiel ist der Olympiapark. Der Olympiaturm ist dort ein typisches Fotomotiv, aber ich wollte ihn nicht einfach frontal ablichten. Stattdessen habe ich seine Spiegelung im Wasser eingefangen.
Das Spannende daran: Die Wasseroberfläche war nicht komplett glatt, sondern leicht bewegt. Dadurch entstand ein Effekt, der das Bild lebendig macht, fast wie eine Mischung aus Realität und Gemälde. Der Turm bleibt erkennbar, aber das Foto wirkt gleichzeitig frisch und anders.
Mit solchen Ideen bringst du Abwechslung in deine Aufnahmen, auch bei Orten, die auf den ersten Blick fotografisch „ausgelutscht“ wirken. Es geht nicht darum, das spektakulärste Bild deines Lebens zu schießen.
Viel wichtiger ist es, den eigenen Blick zu schärfen und Details zu finden, die andere übersehen. So entstehen Bilder, die eine Geschichte erzählen – auch an den scheinbar ausgelaugtesten Motiven.
Foto 4: Falsches Licht, falsche Zeit (ein Fail)
Manchmal hast du eine großartige Idee für ein Foto, aber das Licht macht dir einen Strich durch die Rechnung. Das passiert mir auch, regelmäßig sogar.
Am Münchner Marienplatz gibt es das berühmte Glockenspiel, das immer wieder Massen von Touristen anzieht. Für Streetfotografie finde ich solche Szenen spannend, weil man die Verbindung zwischen Menschen und Ort einfangen kann.
Meine Idee: Ich fotografiere die Menschen im Vordergrund mit dem Rücken zu mir, während der Fokus auf dem Glockenspiel liegt. Das Bild sollte zeigen, wie die Menschen dem Ereignis gebannt folgen. Die Idee klingt gut – aber die Umsetzung scheitert am Licht.
Das Problem fängt damit an, dass der Fokus für den Betrachter nicht klar genug ist. Die Menschen im Vordergrund erscheinen als dunkle Silhouetten, was so gewollt ist.
Aber das Glockenspiel selbst liegt durch den Schatten eines Gebäudes im Hintergrund ebenfalls im Dunkeln. Die hellsten Bereiche im Bild sind stattdessen der Himmel und die anderen Teile des Rathauses.
Dein Blick wandert automatisch dorthin, weil unser Auge immer zuerst von den stärksten Kontrasten angezogen wird. Das lenkt komplett vom eigentlichen Motiv ab.
Auch wenn ich es aus einer anderen Perspektive versuche, ändert das prinzipiell nichts am Problem mit dem Kontrast. Das Glockenspiel liegt so oder so im Schatten.
Selbst in der Nachbearbeitung lässt sich dieses Problem nur schwer lösen. Du könntest versuchen, die dunklen Bereiche aufzuhellen und die hellen abzudunkeln, aber das wirkt zu unnatürlich und zerstört die Bildwirkung.
Die einzige Lösung ist, es an einem anderen Tag oder zu einer anderen Uhrzeit nochmal zu versuchen, wenn das Licht anders fällt. Denn ohne das richtige Licht wirkt selbst die beste Bildidee nicht so, wie sie sollte. Licht lenkt den Fokus – und das ist der Schlüssel, warum manche Fotos besser funktionieren als andere.
Foto 5: Wenn das gewisse Etwas fehlt
Manchmal hast du ein Bild, bei dem alles solide wirkt, aber irgendwie fehlt das gewisse Etwas. Du kannst es nicht sofort benennen, aber du spürst, dass das Foto noch nicht ganz „fertig“ ist. Genau so ein Fall ist mir bei einer Aufnahme passiert, die ich an einem wolkigen, leicht nebligen Tag gemacht habe.
Auf dem Bild siehst du eine Frau, die mit ihrem Hund über eine Brücke spaziert. Eine alltägliche Szene, die aber durch den Hund und die Dynamik zwischen den beiden etwas Besonderes bekommt – die Frau zieht den Hund ein wenig hinter sich her, ein Moment, den vor allem die Hundehalter unter uns kennen und der die Szene direkt sympathisch macht.
Die Frau hebt sich durch ihre helle Mütze gut vom dunklen, kargen Hintergrund der Bäume ab. Der Fokus liegt klar auf ihr und ihrem Hund, und auch die Trennung zwischen Vorder- und Hintergrund funktioniert durch die Tiefenunschärfe und die leicht neblige Stimmung.
Dazu kommt ein Laternenmast in der Bildmitte, der das Foto in zwei Hälften teilt: Rechts die Brücke und das Hauptmotiv, links im Hintergrund ein Fabrikgebäude, halb im Nebel versteckt. Auf dem Papier klingt das alles ausgewogen. In der Praxis wirkt das Bild aber unbalanciert.
Die linke Seite hat einfach nicht genug Gewicht, um mit dem Hauptmotiv mitzuhalten. Das Fabrikgebäude ist zwar da, aber es hat nicht die Präsenz, die es bräuchte, um das Bild richtig auszubalancieren.
Die rechte Seite mit der Frau und dem Hund zieht deinen Blick komplett an, während die linke Seite eher leer bleibt.
Ich könnte das Bild enger zuschneiden, aber dann verliere ich wichtige Elemente wie die Straße oder die Laterne, die zur Komposition beitragen.
Und selbst wenn ich das Bild so lasse, bleibt das Gefühl, dass links etwas fehlt – vielleicht eine weitere Person, eine spannendere Perspektive oder einfach ein Element, das stärker ins Auge sticht.
Die Streetfotografie lässt dir häufig keine zweite Chance. Du kannst den Moment nicht wiederholen, und manchmal bleibt dir nur, das Beste aus dem Bild zu machen.
Dieses Foto ist nicht schlecht. Es hat eine solide Komposition und ein interessantes Hauptmotiv. Aber es fehlt eben dieser Funke, der aus einem guten Bild ein großartiges macht.
Das ist okay – nicht jedes Foto muss perfekt sein. Aber es zeigt auch, wie wichtig es ist, auf Balance und visuelles Gewicht zu achten, um Bilder zu schaffen, die wirklich wirken.