Warum ich fremde Menschen ohne Erlaubnis fotografiere | Streetfotografie erklärt

 

Wer in Deutschland auf der Straße fotografiert muss sich wegen den ganzen Datenschutzregeln der Frage stellen: Darf ich das überhaupt?

Meine Antwort darauf ist: “Ja, das darf man”. Und dazu frage ich auch nie nach Erlaubnis um ein Foto zu machen. Hier schauen wir uns an, warum das so ist.

 

Was versuchst du mit Streetfotografie zu erreichen?

Streetfotografie hat eine besondere Faszination, weil sie das echte Leben und die Realität auf den Straßen einfängt. Man möchte die spontanen, authentischen Szenen festhalten, die sich täglich abspielen.

Diese Momente sind ungestellt und zeigen echte Emotionen und Situationen, die oft unbemerkt bleiben.

Durch Streetfotografie kannst du diese flüchtigen Augenblicke dokumentieren und sie für die Zukunft bewahren.

Wenn ich auf die Straße gehe und fotografiere, suche ich nach solchen einzigartigen Momenten. Es kann eine interessante Debatte zwischen Fremden sein, ein stiller Moment der Einsamkeit oder einfach nur die Art, wie das Licht auf eine bestimmte Weise auf ein Gebäude fällt.

Diese Momente sind sehr flüchtig, aber durch die Fotografie können sie für immer festgehalten werden.

Streetfotografie hat auch einen historischen Wert. Wenn wir alte Fotos aus den 70er oder 80er Jahren betrachten, können wir viel über die damalige Zeit lernen.

Was die Leute getragen haben, welche Autos gefahren wurden oder welche Werbeanzeigen es gab – all das gibt uns einen Einblick in die Vergangenheit. Diese Fotos wirken wie kleine Zeitkapseln, die uns helfen, die Geschichte besser zu verstehen.

Ein weiteres Beispiel ist die Corona-Pandemie. Als die Menschen anfingen, Masken zu tragen und die Straßen plötzlich leer waren, wurde mir klar, dass ich einen geschichtlichen Moment festhalten kann.

Fotos von isolierten Menschen mit Masken oder leeren Straßen sind starke Bilder, die das Gefühl dieser Zeit einfangen.

In einigen Jahrzehnten werden diese Fotos als wichtige Dokumente dieser außergewöhnlichen Zeit betrachtet werden.

Auch Orte können sich verändern. Ich fotografiere häufig an bekannten Orten in München, wie der Eisbachwelle oder der Hackerbrücke. Niemand weiß, wie lange diese Orte so bleiben werden.

Bauprojekte oder Naturkatastrophen könnten sie verändern oder verschwinden lassen. Indem ich diese Orte fotografiere, halte ich ihren aktuellen Zustand fest und schaffe Erinnerungen, die möglicherweise eines Tages nicht mehr existieren.

Streetfotografie kann auch sehr künstlerisch sein. Manche Fotografen sehen sie als Kunstform, während andere, wie ich, sie eher als Dokumentation betrachten.

Es gibt verschiedene Ansichten, aber das Ziel bleibt gleich: das Leben einzufangen. Das Leben in all seinen Facetten, seinen Höhen und Tiefen, seinen kleinen und großen Momenten.

Durch Streetfotografie lernst du, die Welt um dich herum bewusster wahrzunehmen. Du wirst sensibler für die kleinen Details, die sonst leicht übersehen werden.

 

Was passiert wenn du Leute nach Fotos fragst?

Streetfotografie stellt dich dabei aber vor die Frage, ob du Menschen um Erlaubnis für ein Foto bitten solltest oder nicht.

Das große Problem daran ist: Wenn Menschen wissen, dass du sie fotografierst, verhalten sie sich anders.

Sie posieren, schauen in die Kamera und versuchen, sich von ihrer besten Seite zu zeigen. Dadurch verlierst du den authentischen Moment, den die Streetfotografie so faszinierend macht.

Ein Beispiel, das ich besonders beeindruckend finde, stammt von James Parsons, einem britischen Fotografen. Er hat ein Foto von einer Frau gemacht, die ihren Handtaschengurt um den Hals eines Mannes gelegt hat und ihn hinter sich herzieht.

Diese Szene ist extrem ungewöhnlich und man will wissen, wie es zu dieser Situation gekommen ist.

Das angesprochene Foto von James Parsons

Wenn Parsons die beiden vorher gefragt hätte, ob er ein Foto machen darf, wäre diese spontane, ungewöhnliche Szene wahrscheinlich nie entstanden. Die beiden hätten sich anders verhalten und das Bild hätte vollständig an Spannung verloren.

Durch das unbemerkte Fotografieren entstehen Bilder, die Geschichten erzählen. Sie zeigen das echte Leben, die ungefilterten Emotionen und die spontanen Handlungen der Menschen.

Du kannst so Situationen einfangen, die einmalig sind und die du nicht inszenieren kannst. Diese Authentizität macht für mich den Reiz der Streetfotografie aus.

Natürlich gibt es auch Street Portraits, bei denen die Menschen wissen, dass sie fotografiert werden. Diese Art von Fotos hat ihren eigenen Wert und kann ebenfalls sehr schön und interessant sein.

Aber sie sind eben anders. Sie haben nicht die gleiche Tiefe und erzählerische Kraft wie die ungestellten Straßenszenen.

Wenn du Leute fragst, ob du sie fotografieren darfst, verlierst du die Möglichkeit, die wahre Geschichte der Szene einzufangen.

Du bekommst ein Bild von einer Person, aber nicht die Dynamik und den Kontext, der sie umgibt. Das führt zu Fotos, die zwar nett anzusehen sind, aber nicht die gleiche emotionale Wirkung haben.

 

Deshalb frage ich nie nach Erlaubnis

Das sollte dir also eigentlich schon erklären, warum ich nie nach Erlaubnis frage, wenn ich fremde Menschen fotografiere: Ich bekomme einfach nicht dieselben Fotos.

Mir ist es lieber, authentische Szenen aufzunehmen, als jede Person wissen zu lassen, dass ich sie fotografiere.

Wenn Leute wissen, dass sie fotografiert werden, verhalten sie sich anders. Sie posieren oder verändern ihr Verhalten, und die Authentizität geht verloren.

Auch in Deutschland ist es kein Verbrechen, fremde Menschen ohne Erlaubnis zu fotografieren. Fotografie ist Kunst, und die Kunstfreiheit ist ein Grundrecht. Dieses Recht wiegt sich mit dem Recht am eigenen Bild ab.

Solange du die Fotos nicht für etwas Schlechtes benutzt und vernünftig damit umgehst, brauchst du dir keine großen Gedanken über die Legalität zu machen.

Es gibt außerdem viele Möglichkeiten, wie du in Deutschland datenschutzkonform fotografieren kannst. Du kannst Menschen verschwommen als "Urban Ghosts" darstellen, als Silhouette, mit verdecktem Gesicht oder von hinten.

Solange die Person nicht komplett identifizierbar ist, spielt der Datenschutz keine Rolle. Selbst wenn die Person erkennbar ist, gibt es immer noch die Kunstfreiheit.

Als Fotograf bin ich ein Künstler. Auch wenn das esoterisch klingt, habe ich das Recht, meine Kunst auszuüben. Die besten Fotos entstehen, wenn Menschen nicht wissen, dass sie fotografiert werden.

Diese ungestellten, natürlichen Momente zeigen das wahre Leben und die echten Emotionen.

Ich frage nie nach Erlaubnis, weil ich die authentischen und ungestellten Bilder liebe. Diese Fotos erzählen Geschichten, die inszenierte Fotos nicht vermitteln können.

 

Warum nicht im Nachhinein um Zustimmung fragen?

Natürlich könnte ich nach dem Fotografieren um Zustimmung bitten. Aber ehrlich gesagt, ist das einfach nicht praktikabel.

Stell dir vor, ich fotografiere eine belebte Straße, auf der mehrere Menschen zu sehen sind. Einige gehen schnell weiter, andere bleiben kurz stehen.

Wenn ich jetzt eine der Personen auf dem Bild um Erlaubnis frage, ist es gut möglich, dass die anderen schon längst verschwunden sind. Gerde wer also viele Personen im Foto hat steht eigentlich vor einer technisch unlösbaren Aufgabe.

Aber was, wenn nur eine Person auf dem Foto ist? Selbst dann ist es nicht so einfach. Wenn ich die Person frage, kann es gut sein, dass sie später ihre Meinung ändert und möchte, dass ich das Bild lösche oder es doch nicht veröffentlichen soll.

Das ist mir schon passiert. Ich habe einmal ein Video gemacht, in dem ich Street Portraits fotografiert habe. Ich habe die Leute angesprochen und ihnen erklärt, was ich vorhabe.

Am Ende investierte ich viel Zeit in das Video - ca. 15 Stunden - nur damit eine Person irgendwann die Meinung ändert und die Erlaubnis zu Veröffentlichung der Fotos wiederruft.

Ich musste also das ganze Video offline nehmen, weil sich das Ganze nicht so einfach raus editieren lies – all die Stunden Arbeit waren somit umsonst.

Deshalb verlasse ich mich lieber auf die Regeln der Kunstfreiheit.

Diese erlauben es mir, meine Fotos zu nutzen, ohne dass ich jede einzelne Person um Zustimmung bitten muss.

So kann ich meiner Kreativität freien Lauf lassen und die authentischen, unverfälschten Momente festhalten, die die Streetfotografie so besonders machen.

 

 
Timo Nausch